DDR-Zeitzeuge Mario Röllig berichtete am MPG

Bereits zum dritten Mal war DDR-Dissident Mario Röllig zu Gast am Max-Planck-Gymnasium Lahr. Aufmerksam hörten die Jugendlichen der 12. Klasse zu wie er auf eindrückliche Weise von seinem Leben zu erzählte.

Seine Geschichte klingt zunächst unspektakulär und gar nicht wie von einem, der aktiv gegen die DDR rebelliert hat. „Allein bist du nichts, gemeinsam sind wir alles“, erzählte Röllig, wurde schon den Kleinsten in der DDR beigebracht. Er sei wie all seine Freunde damals bei den Pionieren gewesen, wo die DDR-Ideologie vorgelebt worden sei: Der Westen sei schlecht und wolle einen erneuten Krieg. Das habe er erst als kleiner Junge so hingenommen und in seiner Familie sei auch nicht politisch diskutiert worden. Auch den ideologisch geprägten, etwas pathetisch wirkenden „Heimatkunde-Unterricht“ in der Schule, der von klein auf jeden Bürger als Teil des Diktaturapparats trimmen sollte, sei ihm damals nicht negativ aufgefallen. „Ich hatte eine gute Kindheit“, betont Röllig. Die Probleme seien erst später gekommen. Er schwärmt davon, wie es für sie als Kinder gewesen sei, wenn Westpakete kamen. Er berichtet von dem unverkennbaren Duft. Es habe nach richtigem Kaffee und Westseife gerochen und das Öffnen sei jedes Mal zelebriert worden. Das ist für Jugendliche im Jahr 2021 schwer vorstellbar, die all diese Dinge selbstverständlich im Laden um die Ecke kaufen können.

Er erzählt von den langen Schlangen von Gästen – nicht nur vor den Läden – sondern auch den wenigen Restaurants, die es in der DDR gegeben habe. Er selbst habe als junger Mann als Kellner in einem Restaurant am Flughafen Schönefeld gearbeitet. Dieses „Jugendprojekt“ sei prestigewichtig für die DDR gewesen. Viele Junge Menschen arbeiteten dort. Von Schönefeld seien als internationaler Flughafen viele Passagiere aus Westberlin nach Budapest oder Prag geflogen, weil es dort besonders günstig gewesen sei. Die Flüge seien z.T. bis zu 70% billiger als z.B. von Tegel aus gewesen. Hier habe mit Westmark bezahlt werden können, und ein großzügiges Trinkgeld habe es natürlich regelmäßig gegeben. Der Devisenhandel an Flughäfen oder Transitgaststätten habe geboomt, das Land habe diese Devisen auch dringend gebraucht. Das Motto daher: „Der Gast ist König, weil er Geld bringt, der Kellner ist Kaiser. Ich war also der Kaiser von Schönefeld. Mir ging es materiell gut!“ Röllig erzählt sehr lebhaft und die 12. Klasse ist aufmerksam dabei, als er sein wichtigstes Thema anschneidet: Mit 16 habe er sein Coming Out gehabt. Er sei deshalb nicht verfolgt geworden, aber gemobbt und verprügelt. „Das ist vermutlich leider überall so“, sagt Röllig. Mit seiner ersten großen Liebe sei er dann sogar bei einmal Falko-Konzert gewesen, an das er sich heute noch gut erinnere. Weil sein damaliger Freund in Westberlin lebte und arbeitete, sei er allerdings dann doch auf den Radar der Stasi gekommen. Die habe von ihm nämlich dann Informationen gewollt. Im Gegenzug sei ihm ein Trabant angeboten worden. „Das war etwas Tolles, denn sonst hätte man ja Jahre auf ein Auto warten müssen“, erklärt er. Röllig habe dennoch abgelehnt. Daraufhin sei er gekündigt worden.

Zuletzt berichtet er von seinem Fluchtplan über Bulgarien nach Jugoslawien und dann weiter in den Westen zu kommen, der gescheitert sei. Er sei gefasst worden und nach Hohenschönhausen ins Gefängnis gekommen, wo er heute noch arbeitet und Führungen gibt. Die drei Monate Isolationshaft haben den sonst so selbstsicher auftretenden Röllig nachhaltig geprägt. Er berichtet, dass im Hochsommer die Heizung voll aufgedreht worden sei. Er habe auch immer auf dem Rücken liegen müssen, was von den Wachmännern regelmäßig überprüft wurde. „Ich wache heute noch manchmal nachts auf und überprüfe, ob ich nicht aus Versehen auf der Seite liege.“ Dort habe man nie seinen Namen gerufen, sondern immer nur eine Nummer. Auch die anderen Häftlinge, die man nie auf einem der langen Gänge zu sehen bekam, hätten nur Nummern gehabt – alles Zermürbungstaktik. Als er um ein Buch gebeten habe, habe er einen Reiseführer bekommen: New York, Südafrika … Hauptsache weit weg, in Freiheit und für ihn unerreichbar.
Schließlich habe die BRD ihn 1987 für 90.000 DM freigekauft. Insgesamt sind zwischen 1964-89 weit über 33.000 Künstler, Dissidenten usw. von der BRD freigekauft worden. Solche Tausche brauchten der DDR über 3 Milliarden DM und sollten sie vor dem Staatsbankrott retten.

Solche Vorträge bringen der Schülerschaft wichtige Einblicke in ein wichtiges Kapitel deutscher Geschichte.

K. Schrimpf