Stolpersteinaktionstag in Lahr

Wie wird in Lahr an NS-Verbrechen erinnert? SMV-Stolpersteinaktionstag durchgeführt

„Einmal im Jahr werden die Stolpersteine in Lahr gereinigt. Sie erinnern an Menschen, die im nationalsozialistischen Deutschland verfolgt und getötet wurden. An dem Projekt haben sich 70 Schülerinnen und Schüler beteiligt.

Vor dem Haus in der Werderstraße 59 beugen sechs Neuntklässlerinnen des Lahrer Scheffel-Gymnasiums ihre Knie. Sie haben Putzzeug dabei, reinigen und polieren sorgfältig und nach Plan jene drei Stolpersteine, die an die dreiköpfige jüdische Familie Krause erinnern. In der Werderstraße haben die Krauses einmal gewohnt, bevor sie vor dem Terror der Nazis nach Holland geflohen sind. Zusammen mit ihrer Lehrerin Gudrun Pischinger lassen sie dieses erschütternde Kapitel lokaler Geschichte wieder aufleben. Die Eltern Martin und Mina Krause fielen dem Terror zum Opfer, nur die Tochter Eleonora hat Krieg und Verfolgung in Holland überlebt. Die Biographie der Krauses wird verlesen, dann legt eine Schülerin drei Tulpen auf die nun glänzenden Stolpersteine im Gehweg vor dem unscheinbaren Haus. Danach herrscht erst einmal Stille.

So wie diese Gruppe sind am Mittwochvormittag noch neun weitere in der Stadt unterwegs, um die insgesamt 81 Stolpersteine zu reinigen: Schülerinnen und Schüler aus 9. und 10. Klassen von Verbundschule, Max-Planck-Gymnasium und Scheffel-Gymnasium. In jedem Jahr wird solch eine Aktion vorgenommen, aber bisher war immer nur eine einzige Schulklasse daran beteiligt. Dieses Jahr wurde der Gedanke auf eine breitere Basis gestellt. Bertram Bliss von der Stolpersteingruppe, die dem Historischen Verein Mittelbaden angegliedert ist, hatte zuvor die Schulen angeschrieben und große Resonanz erfahren. Begleitet wurde die Initiative auch von der Lahrer Stadthistorikerin Elise Voerkel und dem Lahrer Stadtarchivar Thorsten Mietzner.

Die Schülerinnen und Schüler haben daraus einen Projekttag gemacht. In den Räumen der Kita+ im Bürgerpark haben sie sich am Mittwoch ab 8 Uhr vorbereitet, haben in Gruppen diskutiert, Gedanken entwickelt und fünf doppelseitige Plakatwände gestaltet – einen "Gallery Walk". Am Ende haben die Gruppen die Werke der jeweils anderen betrachtet.

Tim Holtfoth und Franziska Storz von der Verbundschule hatten ihre Schützlinge, wie Holtfoth sagt, im Geschichtsunterricht intensiv vorbereitet. Die Fragen, die an allen drei Schulen behandelt wurden, waren: "Wie fand Verfolgung vor unserer Haustür statt? Warum sollen wir uns erinnern?" Christoph Joos vom Max-Planck-Gymnasium war am Ende der Projektarbeit voll des Lobes: "Die Gedanken, die ihr geäußert habt, beeindrucken mich zutiefst."

Zusammen mit ihren Klassenkameradinnen hat sich die 15-jährige Grace Nandjou von der Klasse 9d des Scheffel-Gymnasiums im Projekt engagiert: "Das, was damals passiert ist, ist schon sehr krass. Viele Menschen wurden ermordet, ohne jedes Mitgefühl", sagt sie ernst. "Das hat mit niemandem von uns direkt zu tun, aber wir müssen schauen, dass so etwas nie wieder passiert, ganz egal in welcher Form." Dann dreht sie sich um und macht sich mit ihrer Gruppe auf den Weg in die Stadt, um Stolpersteine zu reinigen.

Die Stolpersteine von Gunter Demnig

Der Künstler Gunter Demnig hat in den 1990er-Jahren das Kunst- und Geschichtsprojekt gestartet. Die Stolpersteine sollen an Menschen erinnern, die unter der NS-Diktatur gelitten haben oder ihr zum Opfer fielen. Die Steine tragen die Namen der Opfer und werden vor deren einstigen Wohnungen von Gunter Demnig persönlich verlegt. Die Aktion gibt es mittlerweile in 24 Ländern Europas, in diesem Jahr noch soll der 100.000. Stolperstein im Boden angebracht werden. Gunter Demnig hat im Januar 2004 die ersten fünf Stolpersteine zur Erinnerung an Opfer des Nazi-Regimes in Lahr gesetzt. Mittlerweile sind es 81.“

(Quelle: Uwe Schwerer, Badische Zeitung am 20.04.2023)