„Deutsche aus Russland – Geschichte und Gegenwart“
Ein Besuch der Wanderausstellung über Migration, Verfolgung und Neubeginn
Geschichte wird oft als etwas Vergangenes betrachtet – doch manchmal begegnet man ihr ganz direkt. Als wir die Ausstellung „Deutsche aus Russland. Geschichte und Gegenwart“ besuchten, wurde uns bewusst, dass die Geschichten von Flucht, Heimatverlust und Neubeginn auch heute noch spürbar sind, sogar hier in Lahr. Am 22. Oktober 2025 besuchten wir, die Geschichtsbasiskurse der Jahrgangsstufe 11 des Max-Planck-Gymnasiums Lahr, gemeinsam mit Frau Mussler und Herrn Hellberg, diese Wanderausstellung. Sie wurde von der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e. V. gestaltet und informiert über die Geschichte der Russlanddeutschen, Nachfahren deutscher Siedler, die seit dem 18. Jahrhundert im Russischen Reich lebten, die über Jahrhunderte hinweg zwischen zwei Kulturen lebt(e).
Das Thema ist auch für uns relevant, weil ab dem Jahr 1988, sehr viele Russlanddeutsche (zurück) nach Deutschland – auch nach Lahr – kamen, wodurch es in den Schulen viele Kinder/Jugendliche gibt, die Eltern oder Verwandte haben, die Deutsche aus Russland sind. Viele Familien fanden hier eine neue Heimat und prägen heute das gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Leben Lahrs mit. Dadurch wurde uns bewusst, dass die Geschichte der Russlanddeutschen nicht nur ein fernes Kapitel europäischer Vergangenheit ist, sondern auch Teil unserer eigenen regionalen Gegenwart. Außerdem ist auch noch das Thema hochaktuell, da die Ausstellung einen daran erinnert, wie gefährlich Vorurteile, Diskriminierung und nationale Feindbilder sein können. Gerade in einer Zeit, in der Migration und Integration intensiv diskutiert und politisch instrumentalisiert werden, zeigt die Geschichte der Russlanddeutschen, dass Zuwanderung nicht Bedrohung, sondern Bereicherung sein kann.
Im Mittelpunkt der Ausstellung stand die Frage, wer die „Deutschen aus Russland“ sind und welche Erfahrungen sie in der Zarenzeit, in der Sowjetunion und nach ihrer Rückkehr nach Deutschland gemacht haben. Die Ausstellung zeigte, dass viele Deutsche im 18. Jahrhundert auf Einladung Katharinas der Großen (ursprünglich eine deutsche Prinzessin) ins Russische Reich auswanderten. Mithilfe von deutschen Fachkräften wollte Katharina II. die Wolgaregion besiedeln sowie den wirtschaftlichen Aufschwung ihres Landes fördern. Die Zuwanderer erhielten im Gegenzug großzügige Privilegien wie Steuerfreiheit, Selbstverwaltung und Religionsfreiheit. Sie gründeten Siedlungen in fruchtbaren Gebieten, vor allem an der Wolga, im Schwarzmeergebiet und im Kaukasus. Doch mit der Zeit wandelte sich die anfängliche Blüte. Nach der Oktoberrevolution und insbesondere unter Stalin wurden viele Russlanddeutsche entrechtet, verfolgt und deportiert. Diese Tragödie setzte sich während und nach dem Zweiten Weltkrieg fort, als Hunderttausende in Zwangsarbeitslagern („Trudarmee“) oder in „Sondersiedlungen“ umkamen und für Jahrzehnte ihre Heimat verloren.
Die Ausstellung war übersichtlich in Tafeln gegliedert, die mit historischen Fotos, Karten, Dokumenten und Zitaten gestaltet waren. Besonders eindrucksvoll fanden wir die persönlichen Geschichten einzelner Familien, die den historischen Fakten ein menschliches Gesicht gaben. Ergänzt wurde alles durch Zeittafeln und historischen Karten, die halfen, die Geschehnisse zeitlich und geografisch einzuordnen. Besonders schockierend fanden wir, wie grausam und systematisch die Deportationen durchgeführt wurden. Es war erschütternd zu erfahren, dass so viele unschuldige Menschen nur wegen ihrer Herkunft verfolgt wurden. Gleichzeitig beeindruckte uns, wie stark und widerstandsfähig viele Russlanddeutsche geblieben sind, trotz Verlust, Leid und Entwurzelung. Erst Mitte der 1950er-Jahre begann eine schrittweise, jedoch unvollständige Rehabilitierung. Seit den 1970er-Jahren durften wieder größere Gruppen nach Deutschland ausreisen. Vor allem seit den Reformen Gorbatschows (Perestroika und Glasnost) und dem Zerfall der Sowjetunion kamen bis heute rund 2,5 Millionen Menschen als sogenannte „(Spät-)Aussiedler“ nach Deutschland.
Der Besuch der Ausstellung war für uns lehrreich und berührend zugleich. Sie machte Geschichte lebendig und zeigte, wie wichtig Erinnerung für das Verständnis der Gegenwart ist. Besonders durch den Bezug zu unserer eigenen Stadt Lahr wurde deutlich, dass Geschichte überall Spuren hinterlässt. Wir können den Besuch der Ausstellung „Deutsche aus Russland“ sehr empfehlen. Sie öffnet den Blick für ein Kapitel europäischer Geschichte, das oft übersehen wird, und regt zum Nachdenken über Toleranz, Heimat und Menschlichkeit an.
Link zum Ausstellungskatalog: https://lmdr.de/ausstellungskatalog-geschichte-und-gegenwart-der-deutschen-aus-russland-entdecken-digitalund-kostenlos/
Ceyda Gür & Niclas Groß