Die Bilderwelten des Nationalsozialismus
Vortrag von Prof. Dr. Gerhard Paul
Am Donnerstagabend, dem 10. April 2025, lockte der eindrückliche Vortrag von Prof. Dr. Gerhard Paul aus Flensburg zahlreiche Gäste in die Aula des Max-Planck-Gymnasiums. Die eingehende Auseinandersetzung mit den Bilderwelten des Nationalsozialismus bildete den krönenden Abschluss der Vortragsreihe Macht-Bilder!, in welcher das Potenzial wie die Gefahren in der Auseinandersetzung mit Bildern aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet wurde. Unter den Gästen des Abends hatten sich neben der Schulleitung und Vertretern der Bürgerstiftung Lahr, auch viele SchülerInnen des MAX, des St. Ursula Gymnasiums und des Droste-Hülshoff-Gymnasiums aus Freiburg eingefunden.
Mit einer lokalgeschichtlichen Perspektive eröffnete Geschichtslehrerin Nora Mussler den Abend. Durch die eingehende Betrachtung einer Fotografie, die die Zerstörung und Plünderung der Synagoge Kippenheim im November 1938 durch Angehörige der Hitlerjugend zeigt, wurde deutlich, dass der Nationalsozialismus nicht ohne seine Bilder zu begreifen ist. Im darauf folgenden Vortrag Pauls wurde diese These untermauert. Prof. Dr. Gerhard Paul ist einer der herausragendsten Historiker auf dem Feld der deutschsprachigen Visual History, der das noch recht junge Forschungsfeld maßgeblich prägte und dessen Untersuchungsgegenstand der Fotografie um visuelle Medien verschiedenster Art (Film und Fernsehen, Plakate etc.) erweiterte. Gemäß dem Ansatz der Visual History wurden die Bilder des Nationalsozialismus an diesem Abend nicht zur Veranschaulichung und reinen Rekonstruktion historischer Geschehnisse herangezogen, sondern als Mittel der Inszenierung, als Propagandainstrument, als manipulierbares und manipulatives Medium kritisch in den Blick genommen.
Der emeritierte Professor aus Flensburg legitimierte seinen bildlichen Zugriff auf das NS-Regime eingangs mit der Bemerkung, dass die Nazi-Diktatur die erste Diktatur gewesen sei, die sich derart bildlich inszeniert und dargestellt habe. Mit der Betitelung des „Dritten Reiches“ als „Bild-Diktatur“ unterstrich Paul seine Beobachtung, dass im Nationalsozialismus weniger Texte und deren Inhalte und Konzepte, und vielmehr emotionalisierende Bilder entscheidend für die Polarisierung der Massen gewesen seien. Um die Deutungshoheit über das Bildmedium in all seinen Ausprägungen sicherzustellen, wurden nach 1933 sämtliche Institutionen, die mit der Verbreitung solcher in Zusammenhang standen, gleichgeschalten und dem Willen des NS-Regimes unterworfen. Aufgrund der modernen, experimentellen Ansätze, mit welchen das NS-Regime seine Bilder inszenierte und beispielsweise das Ausstellungswesen durch den Aufbau von 3D-Installationen revolutionierte, sprach Gerhard Paul von einem regelrechten medialen Innovationsschub, der 1933 einsetzte. Ebenfalls wurde der Wert des Fernsehers als Propagandainstrument erkannt, mit dem das totalitäre Regime die Menschen bis in ihre Wohnzimmer erreichen und beeinflussen konnte – durch Bilder.
Die kompromisslose Unterstützung für den jahrelangen, von Nazideutschland initiierten Krieg, der Millionen von Menschenleben kostete, sollte in der Heimat durch verharmlosende, heroisierende Fotografien gesichert werden. Der mörderische Kampf selbst wurde so gut wie gar nicht fotografisch festgehalten, stattdessen gelangten Fotografien in die Heimat, die das Soldatenleben als vermeintliches Abenteuer, als ehrenhafte und geordnete Angelegenheit inszenierten, was unter anderem zur Folge hatte, dass viele junge Männer aus eigenem Willen an die Front drängten. Die Macht, die diese Kriegsbilder auf die Bevölkerung ausübten, wurde unter anderem dadurch verstärkt, dass viele der Fotografien und Videoaufnahmen aus der Perspektive einfacher Soldaten aufgenommen wurden. Auch auf zahlreichen Fotografien von Deportationen ist erkennbar, dass die Anwohner selbst private Fotoaufnahmen machten und die Opfer der Deportation durch die Ablichtung ein weiteres Mal demütigten. Ebenfalls finden sich fotografische Dokumentationen von Hinrichtungen, von entkleideten Menschen kurz vor deren Ermordung in Auschwitz-Birkenau, wobei das Motiv der fotografierenden Soldaten in Pauls Augen darin lag, sich ihrer Macht über die Opfer zu versichern. Die Bilderwelten des Nationalsozialismus wurden folglich teilweise von der Bevölkerung selbst produziert und inszeniert, veranschaulichen das Überlegenheitsgefühl und die Grausamkeit eines Kollektivs gegenüber Minderheiten und entfalteten unter anderem durch diese volksnahe Perspektive ihre Wirkmacht.
Die Bildmedien der NSDAP verfolgten sowohl ein Programm der Inklusion durch die Inszenierung einer scheinbar homogenen, idealisierten „Volksgemeinschaft“ (etwa durch Propagandaplakate oder Fotografien von idealisierten Körpern und Familien), als auch der Exklusion durch stigmatisierende Filmproduktionen, die Vorurteile und Hass gegenüber Gruppen schüren sollten, die angeblich diese „Volksgemeinschaft“ bedrohen würden. Als prominentes Beispiel ist hier die NS-Filmproduktion „Jud Süs“ von 1940 zu erwähnen. Des Weiteren wurden im Rahmen einer rassistischen, ausgrenzenden Bildpolitik sogenannte „Gegenbilder“, wie Paul sie nennt, die andere Perspektiven als die der NSDAP zeigen und festhalten, als „entartete Kunst“ gebrandmarkt und vernichtet, Symbole beispielsweise des jüdischen Glaubens (Synagogen etc.) in zahlreichen Pogromen zerstört.
Paul kritisierte in seinem Vortrag wiederholt den zeitgenössischen Umgang mit den Bilderwelten des Nationalsozialismus. Seiner Meinung nach begehe die aktuelle Rezeptionspraxis den Fehler, Bilder des NS vornehmlich als Abbilder historischer Wirklichkeit zu behandeln, somit die Inszenierung zu reproduzieren und das NS-Regime zur Ikone zu erheben. Paul plädierte dafür, besonders in der geschichtsdidaktischen Praxis an der Schule stattdessen auf die Gemachtheit, auf die Inszenierung hinter dem Bild einzugehen und den Eindruck von Ordnung und Kontrolle im NS zu dekonstruieren. Ebenfalls betonte der Historiker die Wichtigkeit, den NS-Propagandabildern sogenannte „Gegenbilder“ entgegenzusetzen, die die Bildpraktiken ausgegrenzter und stigmatisierter Gruppen zeigen, beispielsweise Fotografien von jüdischen Sabbatfeiern, die auch 1936 hinter verschlossener Türe im Privaten stattfanden, oder eine Fotografie, die den für den damaligen Kontext revolutionären Akt festhält, als Hamburger Jugendliche sich gegen die Verhaltenserwartungen und den Antiamerikanismus des NS-Regimes auflehnte und ein „Swing-Happening“ in der Stadt veranstaltete. Laut Paul ist die Aufnahme solcher „Gegen-Bilder“ in unsere Schulbücher von zentraler Bedeutung, um zu zeigen, dass auch aggressive Diktaturen mit totalitärem Anspruch wie der Nationalsozialismus es nicht vermögen, die Bevölkerung gänzlich zu vereinnahmen und ihrem Willen vollständig zu unterwerfen.
Die Größe der Visual History rief abschließend zu einem kritischen, fragenden Umgang sowohl mit historischen als auch mit Bildern aus der zeitgenössischen Medienlandschaft auf. Diese Aufforderung veranschaulichte Paul mit dem Hinweis, man müsse bei der Betrachtung eines Bildes vom zweidimensionalen in den dreidimensionalen Bereich wechseln, sich Fragen zum Kontext der dargestellten Handlung sowie der Aufnahme selbst stellen und anhand dessen einen kritischen Blick für die Macht des Bildes entwickeln, um dieser nicht unterworfen zu werden.
Clara Schwarz