„Demokratiestärkung am Bild: Fotografien historisch denken"
Dr. Markus Bultmann eröffnet die Vortragsreihe „Macht-Bilder!" am MAX
Mit einem wortwörtlich bildgewaltigen Beitrag zum demokratiestärkenden Potenzial in der kritischen Auseinandersetzung mit Fotografien eröffnete Dr. Markus Bultmann am Abend des 6. November die von Geschichtslehrer Florian Hellberg initiierte Vortragsreihe Macht-Bilder! am Max-Planck-Gymnasium. Diese hat den Namen zum Programm: Allen Beiträgen liegt das Ziel zugrunde, für die politische Wirkungsmacht (historischer) Bilder zu sensibilisieren und sich sprichwörtlich ein eigenes Bild von Bilder zu machen.
Bultmann unterrichtet am Droste-Hülshoff-Gymnasium in Freiburg und darüber hinaus als Fachberater für das Fach Geschichte tätig. Als herausragender Didaktiker auf seinem Gebiet wurde er an diesem Abend von Veranstalter Hellberg dem Publikum als „Pionier der geschichtsdidaktischen Bildforschung" vorgestellt.
Diese Fähigkeit, Fragestellungen der Visual History didaktisch aufzubereiten und für ein breites Publikum zugänglich zu machen, stellte er auch am Mittwochabend in seinem Beitrag „Demokratiestärkung am Bild – Fotografien historisch denken" beeindruckend unter Beweis. Mit einem fiktiven Linked-In-Profil für ein Foto, dessen Eigenschaften und Tücken er in seinem Vortrag nach und nach entfaltete, sensibilisierte Bultmann für seine eingangs gestellte Frage, was Demokratiestärkung am Bild eigentlich bedeute. Durch den lebhaften, humorvollen Vortrag wurden sowohl das Kollegium und die Schulleitung des MAX, als auch SchülerInnen der Oberstufe, Eltern und externe Besucher, die sich unter dem Publikum befanden, für die Thematik gewonnen und hörten gefesselt zu.
Das gewählte Foto, das sich wie ein roter Faden als Beispiel von Bildgewalt durch Bultmanns Vortrag zog, hätte an diesem Abend, unmittelbar nach Bekanntgabe der us-amerikanischen Wahlergebnisse, nicht von höherer Aktualität sein können. Es zeigte den Moment kurz nach dem überlebten Anschlag auf republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump im Juli 2024, in welchem dieser kämpferisch die Faust in die Luft reckt, eingerahmt von Sicherheitspersonal, aufgenommen von unten, sodass Trump geradezu in den Himmel hineinzuragen scheint. Dieses Foto, das bereits wenige Minuten nach der Aufnahme seinen Weg um die ganze Welt fand, um seine politische Sprengkraft zu entfalten, verfügt in Bultmanns Gedankenexperiment über folgende Linked-in-Einträge:
- Ich bin eine Flachware in 2D, ich bin in einem günstigen Rahmen beschnitten. Durch meine räumliche Begrenzung rege ich die Phantasie an und mache neugierig, ich verrate nichts über meinen Kontext.
- Ich bin nicht (nur) ein Abbild der Wirklichkeit, sondern ein Bild der Wirklichkeit. Ich bin eine perfekt inszenierte Komposition, die durch ihre Linien- und Blickführung eine fast ikonographische Wirkung entfaltet.
- Ich liebe scharfe Kontraste. Während das Sicherheitspersonal nach unten schaut, schaut Trump als Einziger nach oben und wirkt dadurch noch stärker.
- Ich bin eine visuelle Influencerin. Ich sorge dafür, dass abstrakte politische Botschaften mit Emotionen gefüllt und in einer Person zum Leben erweckt werden: Make America Great again!
- Ich reduziere und fokussiere. Ich zeige meine Protagonisten in einer einzigen Situation.
- Ich bin menschengemacht. Wer mich erzeugt, dessen individuelle Handschrift steht mir ins Gesicht geschrieben.
In seinem Vortrag stellte Bultmann verschiedene intertextuelle und intermediale Bezüge her, welche den Kontext vorgeben, in dem einem Bild Bedeutung zugewiesen wird. So verwies er beispielsweise auf die Kampfgeste der gereckten Faust, die ursprünglich als Symbol von linken Bürgerrechtsbewegungen fungierte, nach und nach aber vermehrt zu einem zentralen internationalen Symbol neonazistischer Bewegungen (weiße Faust vor schwarzem Hintergrund) umgedeutet wurde. Aus solchen Kontexten ergibt sich die Ambivalenz in der Deutung, die ein solches Bild mit gereckter Faust anbietet. Aus diesen Beobachtungen ergab sich der wohl zentralste Eintrag ins imaginierte Karriereportal:
- Mein Name ist Fotografie. Ich bin mit Licht geschrieben. Alle meine Kontexte blende ich aus. Wer mich ohne Kontext verstehen will, den bewerfe ich aus Wut mit Fake News!
Die Fotografie Trumps bestätigt in ihrer Wirkungsgeschichte das Potenzial zur politischen Instrumentalisierung eines Bildes, das sich aus seinen Eigenschaften ergibt: Auf bildgewaltigen Parteitagsbühnen ragte es in Überüberlebensgröße über die Köpfe der Menge und transportierte Siegesgewissheit. Im Internet fand das Bild seit seiner Entstehung enorme Verbreitung und wurde durch die Erstellung von Memes zum Überbringer politischer Botschaften.
- Ich bin eine politische Waffe im Kampf um Köpfe. Ich werde gezielt eingesetzt, manipuliert und umgedeutet.
Doch welche Bedeutung haben all diese Überlegungen in einem geschichtsdidaktischen Kontext? Am Ende seiner Ausführungen kam Bultmann auf die Erinnerungskultur einer Gesellschaft zu sprechen. Diese baut ihre gemeinsame, sinnstiftende Erinnerung an die Vergangenheit auf Bildern dieser auf. Sie schafft sich ihre eigene Erinnerung durch die Auswahl der Bilder, die sie aufbewahrt und auf eine bestimmte Weise deutet. Dieser Prozess der Erinnerungsbildung ist schlussendlich untrennbar mit den Werten einer Gesellschaft verbunden. Um auf den Titel des Vortrags zurückzukommen, heißt folglich die zentrale Kompetenz einer demokratischen Gesellschaft in der Auseinandersetzung mit Vergangenheit, dass man „sich selbst ein Bild macht", anstatt vorgegebene Deutungen hinzunehmen, dass es nicht die eine richtige Deutung geben darf, zu deren Gunsten Kontexte des Bildes kaschiert werden. Demokratiestärkung am Bild bedeutet, dass die Ambivalenz des Bildes nicht als störend, sondern als bereichernd empfunden wird, dass die Möglichkeiten der Bedeutungszuschreibung durch das Herstellen von Kontexten möglichst breit aufgefächert werden. Bultmann schloss mit den Worten: „Demokratie stärkt, wer Fotos liest, als Anfrage an das Eigene, selbst und ständig."
Es sei an dieser Stelle schon einmal auf den zweiten Vortrag hingewiesen, der in der Aula des MAX am Donnerstag, den 5. Dezember 2024, um 18:00 Uhr beginnen wird. Der Medien- und Geschichtswissenschaftler Dr. Ulf Kerber wird über die „Digitale Bedrohung" sowie über „Propaganda" und „Feindbilder" sprechen. Auch externe Gäste sind herzlich willkommen. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Clara Schwarz