Mitschnitt von "Heimlich herzlich"

Musikalisch-szenische Inszenierung zur Verfolgung nach dem § 175. Sehen Sie hier den Mitschnitt der Aufführung vom 29.1.2023, Ehem. Synagoge Kippenheim.

 

"Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen lässt, wird mit Gefängnis bestraft."

So lautet der § 175 des Strafgesetzbuches vom 28. Juni 1935, Art. 6, nach welchem vermeintlich homosexuelle Männer bestraft wurden. Über die tatsächliche sexuelle/romantische Orientierung der verurteilten Männer wissen wir meist wenig – ob sie tatsächlich homosexuell waren, verleumdet wurden oder gar politisch widerständig waren, die Quellenlage erlaubt uns hier meist nur Spekulationen. Das Theaterstück setzt sich ausschließlich mit Biographien männlicher Homosexueller auseinander – das liegt vor allem daran, dass sexuelle Handlungen unter Frauen nicht explizit unter Strafe standen. Das heißt nicht, dass homosexuelle Frauen nicht gesellschaftlich diskriminiert wurden oder dass nicht auch homosexuellen Frauen auf Grundlage anderer Vorwände ins KZ kamen. Aber da sie nicht für die sexuellen Handlungen verurteilt wurden, haben wir noch weniger Grundlage zu diesbezüglichen Spekulationen. Es gab für sie – im Gegensatz zu Männern – keine eigene Häftlingskategorie. Lange Zeit wurde den Opfern des §175 die Anerkennung als Opfer versagt, erst 2002 wurden von NS-Gerichten als Homosexuelle verurteilte Männer juristisch rehabilitiert. Der Paragraph 175 existierte in der jungen Bundesrepublik zunächst unverändert fort. Erst im Zuge der Wiedervereinigung wurde der Paragraph 175 endgültig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Auch in der Gedenkstunde des Bundestags stehen am 27. Januar 2023 Menschen im Mittelpunkt, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität im Nationalsozialismus verfolgt wurden.

Die Schüler der Theater-AG der Oberstufe des MPG unter der Leitung von Aïsha Hellberg sowie die Kompositions-AG unter Leitung von Christian Wenzel setzten sich mit den Biographien von vier Opfern des §175 aus Südbaden auseinander: Wilhelm Johannes Böhme stammt aus Lahr selbst und Karl Hermann Günner aus Offenburg. Mit Paul Honold werfen wir einen Blick in die Bodenseeregion, um uns einem Fall zuzuwenden, in dem wir zumindest über ein Indiz für die homosexuelle Orientierung des Mannes verfügen: eine Kontaktanzeige. Mit Reginald Marquier aus Freiburg wird darüber hinaus ein prominenteres Beispiel aufgegriffen – so prominent, dass sich sogar Heinrich Himmler selbst zum Fall Marquier äußerte. Da Egozeugnisse der Opfer leider in diesen Fällen meist fehlen (ein Umstand, dem das Stück damit Rechnung trägt, dass vor allem über die Opfer gesprochen wird), wählten Aïsha Hellberg und Arion Wiesler Gedichte aus einem Gedichtband über Männerliebe aus, um den historischen belegten Fakten eine mögliche Innenperspektive gegenüberzustellen. Ausgehend vom Text entwickelte die Theater-AG Bilder, die die Kompositions-AG unter Leitung von Christian Wenzel wiederum in Musik übertrug und variierte. So entstand die musikalisch-szenische Inszenierung Heimlich herzlich, die nicht nur an die Opfer der Verfolgung nach dem §175 erinnern, sondern auch dafür sensibilisieren will, dass Homosexuelle noch heute Diskriminierung erfahren: in mehr als 70 Staaten gibt es noch immer Gesetze gegen homosexuelle Handlungen und auch unabhängig von Gesetzen werden Homosexuelle häufig Opfer von Gewalt aufgrund ihrer sexuellen/romantischen Orientierung.

 

Danksagungen

Unterstützt wurde das Projekt von dem Verein der Freunde des Max-Planck-Gymnasiums e. V., Freundeskreis des CSG, dem Förderverein Ehemalige Synagoge Kippenheim e. V. und dem Inlandsprojekt KIWI von Care Deutschland e. V.

Gedankt sei außerdem Andrea Welz für die von ihr eingebrachten Ideen. Die Arbeit an dem Projekt begann gemeinsam mit ihr bereits im Jahr 2020, musste aufgrund der Pandemie jedoch pausiert werden. Drei Jahre später können die Ideen nun endlich auf die Bühne gebracht werden.

Unser besonderer Dank gilt William Schaefer, der die Verfolgung nach dem §175 in Südbaden erforschte und sich zu Beginn der Arbeit an diesem Projekt viel Zeit nahm, uns bei der Auswahl geeigneter Biographien zu unterstützen und diese zu kontextualisieren.

 

Quellen/ Zum Weiterlesen:

https://www.der-liebe-wegen.org

William Schaefer: Schicksale männlicher Opfer des §175 StGB in Südbaden 1933-1945. In: Schau-ins-Land : Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland (128/2009). http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2009/0145

Homosexualität in der NS-Zeit. Dokumente einer Diskriminierung und Verfolgung. Hrsg. v. Günter Grau. Frankfurt am Main 1993.

Homosexuelle im Nationalsozialismus. Hrsg. v. Michael Schwartz. Bonn 2015.

Ach Kerl ich krieg dich nicht aus meinem Kopf. Männerliebe in deutschen Gedichten des 20. Jahrhunderts. Hrsg. v. Martin Ripkins und Hans Stempel. München 2002.

Reginald Marquier: Das Dorf und der Knabe. Berlin 1936.

Reginald Marquier: Geschichte einer Begegnung. Berlin 1938.

https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/180263/1994-homosexualitaet-nicht-mehr-strafbar/